Drohen Bandstillstände & NPEs*** („Patenttrolle“)?
Zur geplanten Novelle des patentrechtlichen Unterlassungsanspruchs (§139 PatG)
Aktuelle Situation
- Reg-Entw. zu §139 PatG vom 20. Oktober 2020
- Bedingter Unterlassungsanspruch, Einschränkungen nicht nur in (strikten) Ausnahmefällen
- Explizite Berücksichtigung von Drittinteressen
- Kein Prüfungsmaßstab (Treu & Glauben)
- Keine Berücksichtigung der Interessen des Patentinhabers
- Monetärer Ausgleichsanspruch unter Angemessenheitsvorbehalt
Lösungsvorschlag
- Rückkehr zum Disk-Entwurf vom 14. Januar 2020
- Basiert auf BGH-Wärmetauscher-Entscheidung
- Verhältnismäßigkeitsprüfung nur in Ausnahmefällen
- Prüfungsmaßstab (Treu & Glauben)
- Berücksichtigung der Interessen des Patentinhabers
- Keine Bezugnahme auf Dritte
- PLUS: Monetärer Ausgleichsanspruch
Argumente zur Diskussion
IP und komplexe Produkte
Autos waren schon immer komplexe Produkte. Neu ist, dass in Autos zur Wertsteigerung IKT-Produkte (Informations- und Kommunikationstechnologie) integriert worden sind und weiter integriert werden. Diese können durch sogenannte SEPs (standard-essentielle Patente) geschützt sein, die unter fairen, angemessenen und diskriminierungsfreien Konditionen (sogenannte FRAND**-Bedingungen) lizenziert werden können, sodass weder Bandstillstände noch exzessive Lizenzzahlungen drohen. Es gab bisher in Deutschland keinen einzigen Bandstillstand, der auf einem IP-Disput beruht hätte.
Interessen Dritter
Die Verhältnismäßigkeitsprüfung soll Drittinteressen einbeziehen. Laut Gesetzesbegründung sollen besonders Grundrechte geschützt werden, z.B. falls die Versorgung mit lebenswichtigen Medikamenten bedroht wäre. Diese absoluten Ausnahme- und Notfallsituationen werden im Patentgesetz bereits durch die Zwangslizenz und die staatliche Benutzungsanordnung geregelt, die auch im einstweiligen Rechtsschutz (also schnell) durchgesetzt werden können. Eine Ausweitung der Ausnahmeregelung auf wirtschaftliche Interessen Dritter in der Lieferkette würde den Unterlassungsanspruch aushöhlen und ist innovationsfeindlich.
Industriesektoren und Innovation
Die deutsche Industrie ist (viel) mehr als Automobil und Telekommunikation. Dies zeigen die nachfolgenden EP-Patentanmeldungszahlen in 2020 für die 10 technischen Gebiete mit den meisten Anmeldezahlen (prozentuale Änderung zum Vorjahr).
Die Automobilhersteller sind Systemintegratoren, die von anderen Herstellern zugelieferte Komponenten zu komplexen Systemen verbauen. Demgegenüber entwickeln z.B. die Chemie, die Medizintechnik oder der Maschinenbau unter hohen F&E-Aufwendungen innovative Produkte und stellen diese auch her. Zur Amortisation der F&E-Kosten und der Finanzierung künftiger Innovationen ist für diese Industrien ein starker Unterlassungsanspruch unabdingbar.
IP und KMUs
KMUs sind innovativ und melden viele Patente an – KMUs haben im Jahre 2020 jede fünfte Europäische Patentanmeldung eingereicht! KMUs sind häufi g „Ein-Produkt-Unternehmen“, sodass ein starker Unterlassungsanspruch essentiell ist, um die Anfangsverschuldung abbauen und weiteres Wachstum fi nanzieren zu können.
Eine regelmäßige Verhältnismäßigkeitsprüfung außerhalb von engen Ausnahmefällen würde die Verfahrensdauer von Verletzungs- prozessen deutlich verlängern und diese deutlich teurer machen. Dies könnte KMUs vor erhebliche Probleme stellen.
* Abbildungen aus EPA Jahresbericht 2020
** FRAND bedeutet „fair, reasonable and non-discriminatory“. Für Standard-bezogene Patente gibt es einen kartell- und Europarechtlichen Lizenzeinwand
*** NPEs sind „Non-Practising Entities“